Tierschützerin Vreni Trachsel berichtet von Ihrem Praktikum in Galati
Praktikum in Rumänien
Man weiss es ja: Pensionierte sind vielbeschäftigte Leute, die ihren Terminkalender laufend füllen. In meiner Agenda ist seit Monaten auf den September ein Rumänienaufenthalt eingeschrieben. Der Flug nach Bukarest wurde gebucht, der Transfer in Richtung Donaudelta abgemacht. Gemeinsam mit der Tierärztin Karin Bachmann reise ich für die Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz nach Galati. Unser Ziel ist das Tierheim Help Labus. Ich werde mich in dem Teil des Heims betätigen, der 2015 eröffnet wurde und gegenwärtig etwa 300 Hunde und über hundert Katzen beherbergt. Daran angegliedert und von eminenter Bedeutung ist ein Tierwaisen-Hospital.
In die Vorfreude mischt sich auch Beklommenheit. Zwar wurde ich seriös vorbereitet und konnte mich mit Leuten treffen, die schon Auslandeinsätze geleistet haben. Trotzdem ist es schwierig abzuschätzen, wie sehr mir manches unter die Haut gehen wird.
Aber zuerst lerne ich in Galati unsere Unterkunft kennen, eine kleine Privatwohnung in der Stadt. Sie wirkt etwas düster, und ich werde auf dem ausgezogenen Sofa schlafen. Die Lage ist jedoch günstig, in der Nähe einer Bushaltestelle und von Lebensmittelgeschäften. Der Garten gefällt uns sehr: Wir dürfen Tomaten und Äpfel pflücken und von den vielen Sorten süsser Trauben probieren. Wir sollen bitte Katzenfutter hinstellen und entdecken, dass sich auch Igel daran gütlich tun.
Wild romantischer Arbeitsweg
Am ersten Morgen werden wir von der SUST-Mitarbeiterin Lilu Gal abgeholt. Der Bus fährt pünktlich. Die Fahrt am Hafen und an alten Fabriken vorbei dauert eine Viertelstunde. Mit uns fahren Passagiere, die sich mehrmals bekreuzigen. Dann geht es zu Fuss vorbei am täglichen Gemüsemarkt. Kaum haben wir die Hauptstrasse verlassen, begegnen uns die ersten Hunderudel. Normalerweise werden sie frühmorgens schon von Lilu gefüttert, heute dürfen wir helfen. Früher machten das Fabrikarbeiter, aber seit die Firmengelände verlassen sind, droht ihnen der Hungertod. Die Tiere sind alle kastriert und werden sich nicht weiter vermehren. Kniehohe Pflanzen mit farbigen Blüten säumen den Weg; er führt vorbei an verfallenen Gebäuden, den Bahnschienen entlang oder auf ihnen. Kaum zu glauben, dass da hie und da ein Zug kommt!
Von weitem vernehmen wir das Hundegebell des Tierheimes. Bald können wir die Bauten auch sehen: Die Konstruktionen des älteren Teils, wo etwa 800 Hunde leben und dahinter die halbrunden, grosszügigeren und beheizbaren Gebäude, welche die Stiftung finanziert und betreibt. Da also werde ich die nächsten Wochen verbringen.
Katastrophen und Kastrationen
Das Tierwaisen-Hospital ist ein ebenso wichtiger wie trauriger Einsatzort. Täglich werden verletzte Hunde und Katzen hergebracht, in der Regel Opfer von Verkehrsunfällen. Nicht selten herrscht Hochbetrieb im Behandlungsraum: Da wird operiert, werden verletzte Tiere gegen Parasiten behandelt, Schmerzmittel verabreicht, Wunden gereinigt, Beine rasiert, Zugänge für das weitere Vorgehen gelegt. Wenn die Tische belegt sind, arbeiten die Pflegeassistentinnen am Boden. Hunde und Katzen werden beobachtet, bis sie aus der Narkose aufwachen. In einem Körbchen schläft der genesende Patient ohne Augen und unter dem Schreibtisch liegt jemand, der bald zu einer Gruppe verlegt werden kann. Wann immer es möglich ist, werden Tiere kastriert. - Das entscheidende Mittel, um die unendlich vielen Strassenhunde und somit auch die Unfälle längerfristig zu dezimieren.
Kostenlose Behandlung
Die verletzten Tierwaisen haben manchmal einen weiten Weg hinter sich. Bei der Katze, der ein Vorderbein amputiert werden muss, hat das Tierschützer-Paar sechs Stunden Autofahrt in Kauf genommen um sie herzubringen. Der Patient unter der Wärmelampe nach ebenfalls einer Beinamputation, die Katze, der ein Bein abgetrennt wurde, der Schäferhund, welcher aus einem fahrenden Auto geworfen wurde, der Patient mit dem schwer vereiterten Auge und die offensichtlich alte, grosse Hündin mit der Wunde am Hinterbein und weiteren gesundheitlichen Einschränkungen, … - Sie alle werden liebevoll und gratis von den qualifizierten Fachleuten hier behandelt. Tierarzt Dan und seine Assistentinnen sind an fünf Tagen pro Woche von zehn bis etwa zwei Uhr anwesend, und in den Stunden danach kann sich momentan Karin den Notfällen annehmen. Wenn sie zwei zusätzliche Hände braucht, ruft sie mich.
Leider gibt es auch Situationen, wo die Ärzte an ihre Grenzen stossen. Die Hündin, die beim Wegfahren unter dem Auto lag und jetzt mit kaputtem Knie und vermutlich ausgerenkter Hüfte jämmerlich zittert, kann hier zwar versorgt aber nicht operiert werden. Es gibt kein Röntgengerät; Dans Diagnose basiert auf geübten Händen. Und manchmal gibt es keine Rettung für eines der „armen Tröpflein“. Völlig wiederhergestellte Tiere werden jedoch nach Möglichkeit zurück in ihren angestammten Lebensraum gebracht.
Dreckarbeit mit Sozialkontakt
Bei so vielen Hunden fällt viel Dreck an: in erster Linie Kot und Hundehaare, aber auch Mäusekegel und durch die Nager losgelöste Isolationskrümel. In einem Gebäude wohnen Frösche in den Abwasser-Rinnen. Natürlich geben die Angestellten bei eingespielten Abläufen ihr Bestes in Sachen Reinigung, aber „Extras“ übersteigen ihre Möglichkeiten. Ich putze gar nicht ungern. Eine Mehrzahl der Hunde sucht Kontakt, drückt sich an mich, will offensichtlich gestreichelt werden. Einige legen sich auf den Rücken, damit auch der Bauch liebkost werde. Vereinzelte springen hoch, was mit verschmutzten Pfoten nicht so toll ist, und scheue Hunde flüchten, wenn ich komme.
Dasselbe beim Bürsten. Im Lauf der Zeit lernen wir uns besser kennen. So ist auch das Gebell beim Betreten eines Shelters nicht mehr gar so heftig wie am ersten Tag. Bloss: Die Hunde mit den arg verfilzten Platten sind identisch mit denen, die keine Pflege wünschen und sich durch die Pendeltüre verdrücken.
Partnervermittlung
In der Regel sind drei oder vier Hunde zusammen in einem Auslauf. Mehr nicht. Natürlich kann es vorkommen, dass ein Hundeleben zu Ende ging oder dass eine rumänische Familie einen Vierbeiner adoptierte. Bei solchen verkleinerten Gruppen wartet eine kynologische Aufgabe auf mich. Dies mit dem Ziel, Kleingruppen zusammenzuführen und so Platz zu schaffen für neue Bewohner. Man kann aber nicht einfach Gehege auffüllen. Je nach Vorleben, Charakter und Befindlichkeit zeigen sich plötzlich territoriale Ansprüche, Rivalitäten, Ängste; die Gefahr von Verletzungen besteht.
Also ist genaues Beobachten angesagt. Lilu, die Vertrauensperson vor Ort, kennt alle Hunde und macht Kombinationsvorschläge. Wir brauchen ein grösseres, neutrales Territorium und legen die Reihenfolge fest, in der die Hunde dorthin gebracht werden. Halsbänder, Leinen oder Belohnungshäppchen sind unbekannt und daher kein Thema. Anlocken funktioniert je nach Hund, auf den Arm nehmen und Tragen geht bei kleinen und nicht ganz scheuen Tieren. Dann bin ich längere Zeit präsent beim neuen Quartett, später mache ich Visiten. Wenn möglich verbringt die Gruppe eine Nacht im grossen Gehege. Wenn alles friedlich verläuft, beziehen die Vier dann einen der leeren Bereiche, wobei auch wieder die Reihenfolge zu beachten ist.
Patenbesuch
Die letzten Tage des Praktikums verliefen etwas anders: Aus der Schweiz waren Gleichgesinnte angereist, die hier ein Patentier unterstützen oder solches beabsichtigen. Sie wollten nun ihren Schützling und seinen Lebensraum persönlich kennenlernen. Berührende Szenen waren zu beobachten, Feedbacks zu vernehmen wie: „So ein weiches Fell hast du!“, „Endlich kann ich dich kennen lernen und streicheln“, oder „Auf dem Foto kamst du mir kleiner vor.“
Aber die Paten legten auch Hand an: Sie halfen mit im Katzenhaus, schleppten Wasser und schrubbten Hundegehege nach der langen Trockenheit. Beliebt und nicht zu unterschätzen war das Sozialisieren von Welpen. Zudem wurde genau jetzt ein ganzer Lastwagen voller Material angeliefert, welches einzuräumen war: Futtersäcke, Kennel, ganze Möbelstücke galt es zu versorgen, sprich an den richtigen Ort zu hieven.
Auch Susy Utzinger war gekommen. Sie nutzte den Aufenthalt unter anderem für Mitarbeitergespräche. Noch seien manche Angestellte nicht an einen Austausch auf Augenhöhe gewöhnt, der auch ein Lob beinhaltet, erzählte sie. Als persönliches Dankeschön erhielt jede und jeder ein (Hunde-)Säcklein. Wer im richtigen Moment hinguckte, konnte den jubelnden Angestellten sehen, der zu seinem Pferdewagen zurückkehrte: Zuerst hielt er die neue Stirnlampe in die Höhe, dann folgten „das Nötli“ und die Schokolade, welche er gleich verköstigte.
Fazit
Noch bin ich dran, die vielen unterschiedlichen Eindrücke zu verarbeiten. In meinem Kopf sind auch Bilder von verunfallten Strassentieren, die nicht leicht verdaulich sind. Fest steht jedoch: Ich bin 100-prozentig überzeugt vom Sinn dieser Hilfe am Ort, wie die Susy Utziger Stiftung für Tierschutz sie betreibt. Und ich schliesse nicht aus, mich ein weiteres Mal auf eigene Kosten so zu engagieren.
Vreni Trachsel