Am 7. September vor 20 Jahren haben Sie Ihre Stiftung gegründet. Was überwiegt: Die Freude am Erreichten oder das Bewusstsein, dass es noch viel zu tun gibt?
Susy Utzinger: Es ist ganz klar das Bewusstsein, dass es noch viel zu tun gibt. Grundsätzlich ist es traurig, dass Tierschutzorganisationen überhaupt nötig sind und je länger wir auf diesem Gebiet arbeiten, desto mehr erkennen wir die dringende Notwendigkeit unserer Arbeit.
Wo konnten Sie mit Ihrer Stiftung am meisten bewegen?
SU: Tierschutzerfolge sind schwer messbar in dem Bereich, in dem sie das Bewusstsein und/oder das Handeln von Menschen verändern und damit das Wohl von Tieren beeinflussen. Ich denke, da konnten wir in den letzten 20 Jahren sehr viel erreichen. Faktisch haben wir in diesen 20 Jahren viele zehntausend Kastrationen durchgeführt, mehrere hundert Tonnen Hilfsgüter ausgeliefert, viele Tierheime unterstützt, reorganisiert und optimiert und unzählige Weiterbildungen im Tierschutz-Bereich durchgeführt.
Welches sind bei Ihrer Arbeit die grössten Hindernisse? Wo gab es Rückschläge?
SU: Rückschläge gibt es immer dort, wo finanzielle oder persönliche Interessen im Spiel sind. Das erleben wir vor allem dann, wenn es um politische Entscheide geht (zum Beispiel darüber, ob hunderttausende Strassenhunde getötet oder lieber kastriert werden sollen) oder auch im Bereich der Puppy Mills: In diesen grauenhaften Hundevermehrungsanstalten werden Rassehunde unter schlimmsten Bedingungen gehalten und gezüchtet, um sie möglichst billig in den Westen zu verkaufen. Auch die Pelzindustrie lässt Tiere unsagbar leiden, um billig Pelz zu produzieren und damit viel Geld zu machen.
Als Tierschützer wird man nicht immer mit offenen Armen empfangen. Wie gehen Sie das an, zum Beispiel, wenn Sie einen Bauern dazu bewegen wollen, seine Katzen zu kastrieren?
SU: Das funktioniert eigentlich gleich, wie mit scheuen Tieren (das ist keineswegs abwertend gemeint): Wir müssen zuerst ein gewisses Vertrauen schaffen, klar machen, dass wir nichts Böses wollen und die Landwirte keinen Nachteil durch unsere Aktion haben werden. Solange es aber noch Leute gibt, die sich für ein 20-er Nötli junge Katzen vom Bauernhof holen (weil die geimpften, gesunden Tiere im Heim mehr kosten), gibt es für viele Landwirte keinen Grund, ihre Katzen kastrieren zu lassen. Die Folge davon ist, dass jedes Jahr unzählige unerwünschte/überzählige Jungkatzen auf Schweizer Bauernhöfen getötet werden. Ebenso unzählige seuchen krank auf den Höfen, auf Fabrikarealen und in Schrebergärten vor sich hin.
Es gibt Tierschützer, die gehen das «Aufklären» anders an. Die dringen in Ställe ein und veröffentlichen schockierende Bilder, blockieren oder sabotieren Schlachttransporte. Unterstützen Sie diesen Weg?
SU: Unsere Organisation hält sich an die rechtlichen Vorlagen, wir führen keine illegalen Aktionen durch. Dennoch verurteile ich nicht alle dieser Aktionen: Es waren schon oft Bilder aus genau solchen Aktivitäten, die schlussendlich eine Bewegung ins Rollen gebracht haben. Traurig ist es, wenn schlussendlich Tiere unter solchem Vorgehen zu leiden haben, anstatt dass eine Verbesserung der Situation herbeigeführt wurde. Dann sind es keine Tierschutz- sondern vielmehr armselige Ego-Aktionen.
Die Schweiz gilt in Sachen Tierschutz als vorbildliches Land. Wie sehen Sie das? Wo besteht noch Handlungsbedarf?
SU: Wir haben ein tolles Tierschutzgesetz, das ist aber kein Grund, dass wir uns darauf ausruhen sollten. In unserem Land geschieht Vieles im Verborgenen – und viele von uns gehen davon aus, dass das, was wir nicht sehen, auch nicht geschieht. Gerade im Nutztierbereich wäre es wertvoll, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten offen und ehrlich darüber informiert würden, wie die Umstände in unserem Land sind. Nur wer umfassend informiert ist, kann auch die richtigen Entscheidungen treffen. Ein einfaches Beispiel: Viele Milchkonsumenten wissen nicht, dass eine Kuh ein Junges zur Welt bringen muss um Milch zu geben (wie jede Säugetier-Mutter eben – da geht es den Menschen gleich) – und diese Leute wissen auch nicht, wie sehr die Tiere darunter leiden, kurz nach der Geburt voneinander getrennt zu werden (die Mutter wird ja zur Milchgewinnung gebraucht). Auch das Leid der «wertlosen» männlichen Jungtiere von Milchkühen ist Vielen unbekannt.
Sie sagen auch: Viele Missstände im Tierschutz entstehen durch falsche Tierliebe. Was meinen Sie damit genau, was begegnet Ihnen denn da so?
SU: Solche Missstände entstehen immer dann, wenn mehr Eigenliebe als Tierliebe vorhanden ist. Das ist für die Betroffenen manchmal schwer zu unterscheiden. Zwei Beispiele von unzähligen: Wer hungrige Tiere füttert, sie aber nicht kastriert, fördert die Vermehrung unerwünschter Tiere. Wer unzählige heimatlose Tiere bei sich aufnimmt, aber nicht richtig für sie sorgen kann, verursacht grosses Tierleid.
Durch Ihr Engagement haben sie schon tausenden von Tieren das Leben gerettet oder notleidenden Tieren zu einem besseren Leben verholfen. Dennoch sind es zehntausende weitere, die vernachlässigt oder misshandelt werden. Wie gehen Sie mit dieser Tatsache um?
SU: Das ist eine traurige Tatsache und gleichzeitig auch das, was mich antreibt, immer weiterzumachen. Unsere Arbeit ist wohl nie zu Ende (zumindest werde ich das wohl nicht mehr erleben) und wir müssen uns ständig auf neue Situationen, neue Probleme und neue Notfälle einstellen. Es ist eine Einstellungssache, ob man aufgeben oder stetig weiterkämpfen will. Dass aufgeben keine Option ist, habe ich für mich bereits vor sehr langer Zeit entschieden.
Und wie stecken Sie dieses viele Leid weg, das Ihnen begegnet?
SU: Das Tierleid, das ich sehe und auch das Leid, von dem ich weiss, dass es existiert, ist für mich (wie wohl für jeden Menschen) sehr schmerzhaft. Ich versuche, diesen Schmerz in Kraft umzusetzen. Kraft, diese Arbeit weiterhin zu leisten und noch mehr Verbesserungen zu erreichen. Dennoch fliessen natürlich auch bei mir hin und wieder Tränen.
Das 20 Jahr-Jubiläum fällt in eine schwierige Zeit. Inwiefern hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit beeinträchtigt?
SU: Corona forderte von uns schnelles Reagieren: Einsätze mussten abgesagt, Notfallkonzepte erstellt werden. Glücklicherweise konnten wir sehr schnell mit Futterlieferungen für unsere Schweizer und auch für unsere ausländischen Partnerorganisationen einspringen.
Die Arbeit erfolgt im Moment unter erschwerten Umständen. Unabhängig davon, welches sind ihre nächsten Projekte?
SU: Im Herbst planen wir jeweils bereits die Einsätze für das nächste Jahr. Ich hoffe von Herzen, dass wir nächstes Jahr wieder problemlos reisen können und wir stellen bereits jetzt unsere Teams zusammen. Aktuell führen wir unsere Weiterbildungen durch. Da wir unsere SUST-Akademie in diesem Wintersemester aufgrund von Corona nicht in den grossen Hörsälen an der Universität durchführen können, werden wir in Zukunft vermehrt auf Webinare setzen.
Tiere, Tierschutz haben in ihrem ganzen Leben schon eine wichtige Rolle gespielt. Das bleibt wohl eine Lebensaufgabe?
SU: Das hoffe ich von Herzen. In dieser Lebensaufgabe gehe ich auf (auch wenn sie mich hin und wieder an meine Grenzen bringt).
Und was macht Susy Utzinger, wenn sie sich mal nicht um das Wohl von Tieren kümmert?
SU: 16-stündige Arbeitstage kann ich nicht mehr ohne Unterbruch leisten. Je älter ich werde, desto mehr merke ich, dass ich mich zwischendurch auch um mich kümmern muss. Das geschieht beim Wandern, beim Joggen oder auch bei einem gemütlichen TV-Abend auf dem Sofa (natürlich immer mit meinen Hunden).
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Bildlegende: Susy Utzinger - Ein Leben für den Tierschutz
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